Kurzfilm

secundenschlaf

von Erik Lehmann

Die Geschichte eines Jungen, der die Erinnerung an seinen besten Freund real erlebt 

Ort:  Weizenfeld im Hochsommer

Zeit: Wenige Minuten, Tag

 

Vorspann: Der Film beginnt im BLACK. Die Filmmusik setzt ein, man hört erste Hintergrundgeräusche. Dazu werden die ersten Texteinblendungen eingesetzt, bis das erste Bild erscheint: Die Kamera beginnt eine vertikale Fahrt von oben nach unten. Man sieht einen blauen Himmel mit Wolken, dann tauchen am unteren Bildrand die ersten Weizenähren auf. Die Kamera taucht in das Feld ein und bleibt schließlich am Erdboden liegen. Die Einstellung zeigt eng stehende Ährenstängel. Plötzlich fällt ein roter Ball vor der Kamera vom Himmel und bleibt circa 1 Meter entfernt liegen. Die nächste Einstellung zeigt für einen Bruchteil von Sekunden das geschlossene Auge von MARTIN. Das Auge geht auf (Iris des Auges deckungsgleich zum Ball). Eine einzelne Träne fließt aus dem Augenwinkel. MARTIN weint. Die Kamera verfolgt die Träne eine Weile und fährt dann um MARTINs Kopf herum. Wir sehen MARTIN vor einem riesigen, goldenen Weizenfeld stehen.

 

Die Sonne steht hoch, die Ähren wiegen sich im heißen, flimmernden Augustwind. MARTIN trägt eine schwarze kurze Hose und ein schwarzes T-Shirt (Schwarz steht für die Realität). Er hat einen roten Ball bei sich (Rot repräsentiert das Leben und die Energie). Die Träne an seinem Kinn fällt auf den roten Ball. Seine Trauer wandelt sich abrupt in Wut. Er kickt seinen Ball weit über das Feld, wo der Ball in einem Meer aus Ähren versinkt. MARTIN dreht sich um, schaut, ob ihn jemand beobachtet hat. Er schnieft, wischt sich die Tränen weg und beginnt ganz langsam und forschend, als hätte er Angst, in das Feld zu laufen. Die Kamera folgt ihm und taucht dann in den Ähren unter, als würde sie die Kontrolle verlieren. Die Kamera kommt wieder aus den Ähren hochgefahren, diesmal filmt sie in entgegengesetzter Richtung, MARTIN läuft vor ihr auf sie zu. Mit dem Auftauchen der Kamera aus dem Feld hat sich die Bildwirkung verändert (Symbolisierung für eine andere Welt). MARTIN bleibt stehen, schaut sich verwundert um, er steht mitten im tiefen Feld (Raum und Zeit scheinen aufgehoben zu sein), um ihn sind nichts als goldene Ähren bis zum Horizont. Er lässt seine Hände durch die Ähren fahren, reißt eine Ähre ab und zerkrümelt die Körner zwischen seinen Fingern. Plötzlich hört man das Geräusch vom Eintauchen des Balls im Feld (aus dem Vorspann). MARTIN schreckt auf. Es folgen Einstellungen vom Abfeuern des Balls von MARTINs Fuß und ein Teil der Flugbahn des Balls über das Feld. MARTIN rennt weg. Plötzlich scheint er wieder etwas gehört zu haben. MARTIN bleibt stehen. Seine Angst steigt. Er dreht seinen Kopf zur Seite und geht einen Schritt zurück. Die Kamera bewegt sich von ihm weg. Ein anderer Junge (MORITZ) kommt ins Bild. 

 

MORITZ trägt zerrissene, verschlissene Kleider in verschiedenen dunklen Blautönen (Blau repräsentiert den Traum und den Tod). Er scheint etwas zu suchen, sein Kopf zeigt in Richtung Kamera (sein Gesicht ist im Schatten), MARTIN steht etwas weiter hinter ihm, er scheint ihn zu erkennen und sagt:

                                                                       MARTIN (leise)

                                                                        „Moritz!“

MORITZ hebt den Kopf, sein Gesicht bekommt Licht, er lächelt, doch er sieht krank und blass aus. MORITZ dreht sich langsam um. MARTIN rennt erschrocken weg. Er rennt wahnsinnig schnell. Plötzlich bleibt er abrupt stehen, dreht sich um. Nichts! Als er sich wieder nach vorn wendet, kniet MORITZ wieder auf dem Boden und sucht vergebens nach Etwas zwischen den Ähren. MARTIN flüstert fast sprachlos:

                                                                       MARTIN (leise)

                                                                       "Moritz?!“

Dabei ist MORITZ MARTIN abgewandt, er scheint ihn aber plötzlich zu bemerken, will sich umdrehen, doch da rennt MARTIN schon wieder weg. MARTIN rennt quer durch das Feld. Solche abwechselnden Einstellungen zwischen Entdecken und Wegrennen wiederholen sich, werden schneller und rasanter geschnitten. Zusätzlich werden Zwischenschnitte von MORITZ gezeigt, die sein Feldleben definieren (dreckiges Gesicht, suchende dreckige Hände, zerrissene Kleidung,...) Für MARTIN steigert sich die Angst vor den unmöglichen Begebenheiten (nämlich, dass MORITZ immer an den Orten auftaucht, an denen MARTIN anhält, obwohl er gerade eben von MORITZ weggerannt ist). Als MARTIN wieder stehen bleibt und erstarrt nach vorn sieht, offenbart die Kamera nicht, was er sieht. Eine Totale zeigt MARTINs Oberkörper aus dem Feld ragen, vor ihm erhebt sich MORITZ aus dem Feld, er lässt etwas aus seiner Hand in die von MARTIN gleiten. Die nächste Einstellung zeigt die beiden Handpaare. MARTINs Hände schließen sich, MORITZ’ bewegen sich weg, den Inhalt sieht man nicht. MARTIN öffnet die Hände und eine schwarze Maus kommt zum Vorschein. Als MARTIN wieder aufblickt, ist MORITZ verschwunden. Entgeistert schaut er auf die Maus, die sich ihm von seiner Hand entgegenstreckt. Er setzt sie sich auf die Schulter, dreht sich um und beginnt schnell aus dem Feld zu laufen. (Zeitschnitt) Plötzlich tritt er im nächsten Moment aus dem Feld heraus. Da ruft es aus dem Feld:

                                                                        MORITZ (ruft)

                                                                       „Martin!“

MARTIN dreht sich um, schaut in das leere Feld, lässt seine Augen hin und her schweifen, doch er kann niemanden entdecken. Gegenschuss aus dem Feld: MORITZ steht mitten im Feld, er hält den roten Ball hoch (Kamera filmt ihn von hinten), vorn sieht man MARTIN immer noch suchend nach MORITZ Ausschau halten. MORITZ ruft wieder:

                                                                        MORITZ (ruft)

                                                                       „Martin!“

MORITZ lächelt und hebt den Ball etwas höher. MARTIN kann MORITZ nicht entdecken, er nimmt die Maus von seiner Schulter, schaut immer noch auf das leere Feld, dann auf die Maus, streichelt sie, er weint wieder. MORITZ lässt seine Hand mit dem Ball langsam sinken, er dreht sich um; auch er weint. Er geht an der Kamera vorbei. MARTIN steht am Feldrand. Er hat sich vom Feld abgewandt und geht weg. Die Kamera richtet sich wieder auf MORITZ, um ihn zu verfolgen, doch der ist schon weit weg und verschwindet langsam im Gegenlicht. BLACK.

 

Trübes Licht. Es regnet. Den Zuschauer muss es frieren. Das Bild zeigt ein abgemähtes Feld. MARTIN kommt ins Bild. Seine Füße versinken und seine Beine werden mit jedem Schritt schmutziger. Er fährt mit den Füßen durch die liegen gebliebenen Strohhäufen. Plötzlich stoppt er, seine Hände finden den zerstörten roten Ball im Stroh. Er hält die zerfetzten Reste in der Hand und schaut nach oben. Der Regen fällt auf sein Gesicht. Er lächelt.

2003-12-29/ 2004-04-07/ 2004-07-14